27. Juli 2023 Um 7:36 Uhr sitze ich im ICE Richtung Stralsund, übrigens dem einzigen ICE, der in Elze (Han) hält. Zum Glück hatte ich meine Radreservierung schon rechtzeitig gemacht, denn die vorhandenen drei Plätze sind in Hannover bereits besetzt. Ansonsten ist der Zug pünktlich, das Personal höflich und hilfsbereit und ich kann mich entspannt zurücklehnen und meinem dreitägigen Abenteuer entgegensehen.
Eigentlich war der Plan, in Hitzacker mit der Fähre überzusetzen. Gestern informierte mich mein schlauer Göttergatte, dass diese wegen Niedrigwasser nicht in Betrieb ist. So habe ich meine erste Etappe auf die Schnelle einfach mal durch Komoot erstellen lassen und werde jetzt in Neu Darchau übersetzen. Diesem Track folge ich, nach meiner Ankunft um kurz vor 9 Uhr und einem wieder einmal begeisterten Blick auf den verspielten Hundertwasser-Bahnhof.
Schnell lasse ich die Stadt englang der Ilmenau und auf Radwegen an der Landstraße hinter mir. Ab Bad Bevensen hat sich das Tröpfeln in einen leichten Landregen gewandelt und ich bin dankbar, Beinlinge, Armlinge, Windjacke, eine Regenjacke mit kurzem Arm und Überschuhe sowie einer Helmabdeckung dabei zu haben. Auf diese Weise fühle ich mich trotz des kühlen Wetter rundum wohl.
Aber so schön die Radwege auch sind, die Kilometer wollen und wollen nicht schmelzen. Diesen Teil der Tour würde ich beim nächsten Mal etwas verändern. Erst als ich bei Altenmedingen endlich auf kleinste Straßen und Wirtschaftswege gelange, vergeht die Zeit wie im Flug, weil ich so viel zu schauen habe.
Die endlose Einsamkeit des ehemaligen Zonenrandgebiets umgibt mich, wenige kleine Dörfer, viele Felder und Wiesen und noch mehr Natur. Leider fehlt mir wegen des schlechten Wetter die Lust auf längere Aufenthalte und Fotos.
An der Elbe angekommen, fahre ich an allen haltenden Autos vorbei und gelange als erste auf die gerade entladene Fähre. Für 3 € gönne ich mir eine Kreuzfahrt und genieße dann die letzten 9 km zurück elbaufwärts entlang an direkt am Deich liegenden hübschen Bauernhäusern bis zu meinem Quartier in Vockfey. Im Privelacker Paradiesgarten erwartet mich ein hübsches einfaches Zimmer, lecker Kaffee-Kuchen und später ein Abendessen.
Hier lebt ein freundliches Ehepaar aus Hamburg seinen Traum, ökologisch mit selbst gebackenem Brot, Einkäufen aus der Region und liebevoll zubereiteten Gerichten in einem wundervoll restaurierten alten Hof umgeben von eben diesem Paradiesgarten für die Selbstversorgung.
28. Juli 2023 Nachdem es die ganze Nacht geregnet hat verlasse ich den Paradiesgarten gestärkt durch ein köstliches Frühstück mit selbst gebackenem Brot mit Rührei und einem großen Tee. Ich lasse sowohl den Helmschutz und auch die Regenjacke weg. Es ist wärmer geworden und regnet nicht mehr. Ich schwinge mich in den Sattel und fahre Richtung Gadebusch, wo mich mein nächstes Quartier erwartet.
Oben auf dem Deich habe ich links einen herrlichen Ausblick auf die Elbauen mit ihren Altarmen in denen sich die Wasservögel tummeln. Rechts überrasche ich zwei Reiher im innigen Gespräch und aus einem Sonnenblumenfeld schauen mir die erschrockenen Augen eines Rehs entgegen. Ich fahre immer wieder über kleine Kanäle und durch Schilfgürtel. Auf den Strommasten erheben sich die turtelnden Täubchen sobald ich mich nähere.
Doch je weiter ich mich von der Elbe entferne weicht die Flusslandschaft einer leicht hügeligen, teilweise waldigen Landschaft. Ich fahre an liebevoll restaurierten alten Häusern mit riesigen Obst-, Gemüse- und Blumengärten vorbei, sehe in der Ferne hin und wieder Kirchtürme winken, über deren variantenreiche Turmgestaltung ich jedesmal begeistert bin. Schnatternde Gänse grüßen mich und freuen sich auf ein Wiedersehen an St. Martini.
Mein Weg führt mich über Neuhaus auf der ehemalige Kleinbahntrasse Neuhaus–Brahlstorf durch Lampenputzer bewachsene Feuchtgebiete und Kiefernwald, dann durch verträumte Dörfer mit der dazugehörigen alten Straßenpflasterung, die man als gemeiner Radler besser auf den Gehwegen bewältigt, um nicht abends als Milchshake anzukommen. Ich fahre auf alten Verbindungswegen zwischen den Dörfern, die längst in einen Dornröschenschlaf gefallen sind weil der Weg über die Hauptstraßen mit dem Auto so viel angenehmer ist. Nur ab und zu werden sie von einer wie mir kurz wachgeküsst.
Immer häufiger lässt sich die Sonne blicken und zaubert auf mein sowieso schon strahlendes Gesicht ein zusätzliches Leuchten. Mitten im Nirgendwo mit dem schönen Namen Goldenbow entdecke ich vor einem Haus die entzückendsten kleinen Keramik-Figuren, die man sich denken kann und schwatze eine Weile mit dem Künstler, ebenfalls einem Zugereisten. In dieser unberührten Landschaft kann man immer wieder einsame Orte finden, an denen so mancher seine Träume leben kann.
Von der Strecke entlang des Schaalsees hatte ich mir etwas mehr Blick erwartet und so ruhig und landschaftlich schön die Straße ist, der See hat hier keinen Auftritt. Bei Roggendorf muss ich dann schweren Herzens den Radweg entlang der B206 nach Gadebusch nehmen, da in dieser Region günstige Übernachtungsmöglichkeiten dünn gesät sind.
Gadebusch entpuppt sich als ein entzückendes kleine Backsteinstädtchen mit einem historischen Bahnhof, der Eisenbahnliebhaber sicher begeistern würde und einem großen Burgsee mit sehenswürdigen hölzernen Skulpturen. Es gibt genug Restaurants für jeden Geschmack und ich bin nicht traurig, 10 km von meinem Weg für die Übernachtung abgewichen zu sein.
29. Juli 2023 Und schon ist der dritte Tag angebrochen. Ich begnüge mich mit einem großen Tee und einer Banane und mache mich auf den Weg. Um nicht die gleiche Strecke zu nehmen, hatte ich den Track etwas verlegt. Das beschert mir ein wirkliches Abenteuer.
Aus einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit wird ein Waldweg, ein Wiesenweg, bald nur noch ein Feldrain und nachdem ich einen Wanderpfad überwunden habe befinde ich mich mitten im Wald, wo nur noch die Topografie davon zeugt, dass es einmal einen Weg gab.
Gleichzeitig fängt mein Gepäckträger an sich mit Begeisterung an meinem Reifen zu reiben. Fahren kann ich nicht mehr und jedesmal wenn ich stehen bleibe, um den Gepäckträger zu richten stürzen sich Milliarden von Mücken auf mich und stechen durch Hemd und Hose. Daran werde ich noch für den Rest des Urlaubs meine Freude haben.
Endlich finde ich eine Lösung für das Gepäckproblem. Ein Latexhandschuh fixiert den Träger an der Sattelrohrstrebe. Kurz darauf lässt sich wieder ein Weg erkennen und nach einigen Kilometern auf einem befestigten Waldweg erreiche ich die Kreisstraße nach Schönberg.
Wieder bin ich umgeben von diesen prächtigen Alleen aus uralten Eichen, Kastanien und immer wieder Linden. Auch wenn der Duft dieser Bäume seit einem Monat verweht ist, die diebische Freude, die es mir macht über die knackenden kugelförmigen Früchte zu fahren ist immer noch die gleiche wie ich sie als Kind empfunden habe. Entlang der Bäche stehen überall gut frisierte Kopfweiden, deren uralte Stämme oft zerbrochen sind und doch treiben sie weiter aus.
Von Schönberg aus geht es auf dem wunderschönen Bahndamm-Radweg nach Dassow, wo mich mein Mann erwartet. Nach einem dicken Stück Zuckerkuchen in einer tiefgekühlten Bäckerei mit einer Verkäuferin von ähnlicher Laune vergeht der Rest des Weges bis Redewisch Ausbau wie im Flug. Das war eine wunderschöne Tour, die ich mit geringfügiger Veränderung sicher noch einmal fahren werde.
Doch ohne die Hilfe meines zuverlässigen Monteurs und Ehemanns und der Ausstattung mit App und Navi und Hilfe bei der Bedienung durch meinen Langstrecken erprobten Sohn wäre die Tour nicht so entspannt verlaufen. Also an dieser Stelle noch einmal meinen herzlichsten Dank.
Patricia-Silvia Wernicke