Im Juni 2024 startete RSG-Athlet Jan Weber, der im Radsportumfeld unserer Region eher bekannt ist durch seine zahlreichen Erfolge bei Wettkämpfen, eine für ihn ungewöhnliche und umso bemerkenswertere Herausforderung: die Umrundung des gesamten Bundeslandes Niedersachsen mit seinem Gravelbike. Diese anspruchsvolle Tour sollte ihn über 2.000 Kilometer vorbei an den kulturellen Schätzen durch die vielfältigen Landschaften Niedersachsens führen. Das Vorhaben würde nicht nur körperliche Ausdauer und mentale Stärke, sondern ebenso auch eine sorgfältige Vorbereitung und die richtige Ausrüstung erfordern.
Mit insgesamt 7 Fahrradtaschen, in denen er neben mehreren Sätzen insbesondere wetterfester Bekleidung, ausreichender Verpflegung, den wichtigsten Werkzeugen und Ersatzteilen auch noch ein leichtes Zelt und einen Schlafsack verstaute, machte er sich frühmorgens am 20. Juni auf den Weg. Es war ihm klar, dass diese Tour nicht nur seine persönlichen Grenzen erweitern, ihm dafür andererseits aber auch faszinierende Eindrücke von der Vielfalt Niedersachsens bieten würde.
Tag 1: Von Barfelde nach Varlosen
Distanz
: 169 km,
Höhenmeter
: 1.522 m
, Zeit
: 7 h 35 min
Am ersten Tag führte Jan die Strecke vom Heimatort Barfelde Richtung Südwesten nach Bad Pyrmont an die Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Nach etwa 30 Kilometern überquerte er den Ith, der sich dank des ungewöhnlichen Gewichts der mitgeführten Ausrüstung als die erste unerwartet sportliche Herausforderung erwies.
Kurzer Halt am prächtigen Schloss Hämelschenburg, einem herausragenden Beispiel der Weserrenaissance-Architektur. Weiter ging es nach Bad Pyrmont und im Anschluss über die Ottensteiner Hochebene zur Weserfähre Polle, um dem Weserradweg, einem der schönsten Radwege Deutschlands entlang des Flusses, zu folgen. Dabei passierte er die charmanten Orte Holzminden und Höxter mit ihren historischen Altstädten. Ab Lippoldsberg verließ Jan die Weser und folgte dem Fluss Schwülme nach Varlosen, seinem ersten Zwischenhalt bei seinem Teamkollegen Markus E.
Tag 2: Von Varlosen bis Duderstadt
Distanz:
144 km
, Höhenmeter:
1.686 m
, Zeit
: 7 h 3 min
Nachdem Jan in Varlosen aufgebrochen war, kehrte er zunächst zum Weserradweg zurück und radelte in Richtung Hannoversch Münden zum Zusammenfluss von Werra und Fulda zur Weser. Von Hannoversch Münden folgte Jan dem Fuldatal, das trotz durchgängigen Regens bis in den Nachmittag hinein eine reizvolle Kulisse bot. Weiter ging es über den Höhenzug des Kaufunger Waldes Richtung Friedland ins Eichsfeld und weiter nach Duderstadt. Die Stadt ist bekannt für ihr gut erhaltenes mittelalterliches Stadtbild und das beeindruckende Rathaus, das zu den schönsten Rathäusern Deutschlands zählt. Im Jugendgästehaus der Stadt fand er eine Übernachtungsmöglichkeit – für stolze 56 Euro.
Tag 3: Vom Eichsfeld in den Harz
Distanz:
126 km,
Höhenmeter:
2.032 m
, Zeit
: 7 h 16 min
Steile Anstiege und beeindruckende Landschaften bestimmten diesen Tag – Harzcore! Die Strecke führte Jan zunächst südlich von Bad Sachsa in den Harz. Doch nicht die Höhenmeter sondern vielmehr die ehemaligen Kolonnenwege entlang des Grenzweges zwischen der ehemaligen DDR und Westdeutschland machen Jan besonders zu schaffen. „Ich kenne ja die Betonplattenwege entlang der alten Grenze, aber diese sind besonders fordernd“. Sie sind keine durchgehenden Betonplatten, sondern so offen, dass Gras hindurch wächst. „Da auf der schmalen geraden Betonspur zu bleiben, erfordert sehr viel Konzentration. Das macht das Radfahren sehr anstrengend.“
Das Highlight dieser Etappe war der Aufstieg zum Brocken, dem höchsten Berg im Harz und in ganz Norddeutschlands und damit auch der höchste Punkt der Tour. Oben angekommen, wurde er mit einem spektakulären 360-Grad-Panorama belohnt, das bei klarer Sicht bis weit in die umliegenden Regionen reicht.
Nach der Abfahrt vom Brocken führte die Strecke nach Vienenburg, einem beschaulichen Städtchen am Rande des Harzes. Von dort aus ging es weiter nach Neuenkirchen bei Liebenburg, dem nächsten Rastplatz im Garten von Rick, einem ehemaligen Teamkollegen.
Tag 4: Vom Harz in die Heide
Distanz:
178 km
, Höhenmeter:
846 m
, Zeit:
7 h 38 min
Am vierten Tag führt die Tour von Schladen zunächst über Hornburg – einer charmanten Stadt mit historischen Fachwerkhäusern – nach Schöningen zum beeindruckenden Bau des Forschungsmuseums, das vor allem der Ausstellung der Schöninger Speere und der Darstellung der Lebens- und Umweltverhältnisse zu deren Entstehungszeit vor rund 300.000 Jahren dient.
„Zwischen Harz und Heide gibt es ganz viel Landschaft“, beschreibt Jan die folgende Strecke. Von Schöningen aus ging es immer parallel zur ehemaligen innerdeutschen Grenze, vorbei an Helmstedt und Wolfsburg Richtung Südheide und Wendland. Die ruhigen, ländlichen Straßen boten eine willkommene Abwechslung zum Harz, aber auch wenig Möglichkeiten, die Trinkflaschen wieder aufzufüllen. „Ohne Wasser von den Friedhöfen wäre es heute gescheitert.“ Schließlich erreichte Jan den Rastplatz in Billerbeck, südlich von Schnega, wo er sein Zelt neben einer Ziegenherde aufschlug.
Tag 5: Start im Wendland Richtung Schnackenburg
Distanz
: 184 km,
Höhenmeter
: 270 m,
Zeit:
7 h 35 min
Garmin Fail! 47 km wurden nicht aufgezeichnet und mussten manuell nachgetragen werden! Jan startete in Billerbeck in östlicher Richtung durch den Altmarkkreis Salzwedel nach Salzwedel und weiter über Riebau nach Kaulitz. Von dort aus fuhr er zum Arendsee und durchquerte das Harper Moor, um Schnackenburg zu erreichen, den östlichsten Punkt seiner Tour. Hier überquerte er die Elbe mit der Fähre. Auf der nördlichen Seite der Elbe setzte er seine Fahrt bis nach Dömitz fort, wo er den 2023 eröffneten „Skywalk“ auf der im Krieg zerstörten Dömitzer Eisenbahnbrücke besichtigen konnte – ein langgehegter Wunsch. Vor rund zehn Jahren hatte ein Niederländer die Brücke gekauft und mit großem Kostenaufwand saniert. Auf vier von 16 Brückenbögen kann man nun derzeit zu Fuß über die Brücke gehen – und das mitten im Biosphärenreservat Elbtalaue.
Über die parallel verlaufende neue Überführung der B 191 wechselte Jan auf das südliche Ufer der Elbe und fuhr immer an der Elbe entlang nach Hitzacker, wo er erneut mit einer Fähre auf das nördliche Ufer wechselte. Die Strecke führte ihn dann weiter über Darchau zur Gartenkolonie Boitzenburg, dem Rastplatz des fünften Tages. Jan zeigte sich begeistert von der Landschaft: „Das Wendland ist wunderschön!“
Tag 6: Von Boitzenburg
bis Oederquart
Distanz
: 175 km,
Höhenmeter
: 598 m,
Zeit:
7 h 33 min
Am 6. Tag startete Jan in Boitzenburg Richtung Lauenburg. Dort nutzte die Gelegenheit für eine kurze Pause am Elbufer, bevor es weiter nach Geesthacht ging. Auf dem Weg dorthin durchquerte er das beeindruckende Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe, das mit seiner artenreichen Flora und Fauna beeindruckte. In Seevetal, einem Ort, der oft im Schatten der nahegelegenen Großstadt Hamburg steht, überraschten ihn die ruhigen, gut ausgebauten Radwege, auf denen er weiter Richtung Buxtehude fuhr.
Die letzte Etappe des Tages führte Jan entlang der Elbe durch das Alte Land nach Stade, wo er am Fischmarkt den Holztretkran bewundern konnte, der im Jahre 1977 nach Rekonstruktionsplänen an der gleichen Stelle wieder errichtet wurde, an der er um 1900 abgerissen worden war. Die Strecke bot atemberaubende Ausblicke auf den Fluss und die vorbeiziehenden Schiffe. Am späten Nachmittag erreichte Jan sein Ziel Oederquart mit seiner historischen Windmühle und den traditionellen Reetdachhäusern, wo er in einem Shelter Unterschlupf für die Nacht fand.
Tag 7: Von Oedequart nach Dangast
Distanz
: 176 km,
Höhenmeter
: 278 m,
Zeit:
6 h 54 min
Endlich das Meer sehen! Jan setzte sich früh morgens in den Sattel, um die kühle Morgenluft zu genießen und den Tag optimal auszunutzen. Die Tour führte zunächst über Cuxhaven, vorbei am Deichbauer-Denkmal am Hafen in Dorum-Neufeld, das Einheimische, Zugezogene und Touristen an die historischen Epochen des Deichbaues und die existentielle Bedeutung des Deiches für die Marschen erinnert, nach Bremerhaven.
Mit dem Klimahaus Bremerhaven 8° Ost hält die Stadt ein Highlight bereit, das interaktive Erlebnisse rund um das Thema Klima bietet. Auffällig ist auch das nahegelegene Atlantic Hotel Sail City. Das Hochhaus in Form eines Segels hat 23 Etagen und eine Höhe von 86 Metern, mit Spitze 147 Meter.
Nach einer deftigen Brotzeit mit Fischbrötchen, Pommes und Cola setzte Jan mit der Fähre über nach Nordenham und folgt der Küstenlinie entlang des Jadebusens bis nach Dangast zum Campingplatz am Meer.
Jans Fazit: Herrlich!
Tag 8: Von Dangast die ostfriesische Nordseeküste entlang nach Weener
Distanz
: 210 km,
Höhenmeter
: 310 m,
Zeit: 8 h 38 min
Der Weg führte ihn zunächst entlang des Deiches nach Wilhelmshaven und über die Kaiser-Wilhelm-Brücke, dem Wahrzeichen der Stadt, weiter Richtung Nordsee. Die Tour am Wattenmeer entlang den ostfriesischen Inseln von Wangerooge bis Juist war angenehm flach, aber die gut 100 Kilometer ließen sich angesichts des andauernden Gegenwinds nur angestrengt bewältigen. Bei 34°C im Schatten und viel eintönigem Beton stellte sich auch eine gewisse Langeweile ein. „Abwechslung boten nur Kühe und Schafe.“
Langsam drehte die Strecke Richtung Süden und der Gegenwind ließ nach. Am Pilsumer Leuchtturm bei Greetsiel auf dem Deich mit Weitblick aufs Wattenmeer nutzte Jan die Gelegenheit und machte eine kurze Pause, um die idyllische Atmosphäre zu genießen. Der „Otto-Turm“, benannt nach dem berühmten ostfriesischen Komiker Otto Waalkes, wurde 1890 als Leitfeuer fertiggestellt und ist heute außer Betrieb.
Von Greetsiel aus setzte Jan seine Fahrt nach Emden fort. Emden, die größte Stadt Ostfrieslands, ist bekannt für den Emder Hafen und das Otto-Huus, das Museum des Komikers Otto Waalkes. Mit der Ditzumer Fähre überquerte er die Ems und die letzte Etappe des Tages führte Jan weiter in südlicher Richtung nach Stapelmoor bei Weener, wo er in der Nähe der 1909 erbauten und heute noch voll funktionsfähigen Galerieholländer-Windmühle bei seinem Teamkollegen Mike B. erschöpft von der langen Tour aber dennoch zufrieden vom Rad stieg.
Tag 9: Von Weener bis Bad Bentheim
Distanz:
195 km,
Höhenmeter:
498 m,
Zeit
: 8 h 7 min
Der neunte Tag der Niedersachsenumrundung von Jan begann früh am Morgen mit einem leichten Frühstück und einem letzten Check seines Gravelbikes. Nördlich von Papenburg, bekannt durch die Meyer Werft, konnte Jan einen kurzen Blick auf die beeindruckenden Kreuzfahrtschiffe werfen, die hier gebaut werden.
Weiter führte ihn seine Route u. a. entlang der Transrapidstrecke gen Süden. Die Landschaft änderte sich allmählich, und er passierte idyllische Dörfer und weitläufige Felder. Unterwegs entdeckte Jan auch einige versteckte Kleinode: alte Mühlen, gemütliche Gasthöfe und immer wieder freundliche Menschen, die ihm zuwinkten oder ein kurzes Gespräch suchten.
Die vielen hundert bisher zurückgelegten Kilometer und die Einsamkeit machten sich jedoch langsam bemerkbar. Kurz vor der niederländischen Grenze machte Jan eine Pause, um sich zu stärken und die friedliche Stille der Natur zu genießen.
Dann setzte er seine Fahrt fort und überquerte bei Vennebrügge die Grenze nach Coevorden in den Niederlanden. Nach etwa 20 Kilometern durch das Nachbarland machte sich Jan wieder auf den Weg zurück nach Deutschland, überquerte die Grenze und fuhr weiter dem Tagesziel in Bad Bentheim entgegen.
Tag 10: Von Bad Bentheim bis Riemsloh
Distanz
: 206 km
, Höhenmeter
: 962 m
, Zeit
: 8 h 17 min
Die ersten 80 Kilometer bis Bramsche verliefen relativ flach, was Jan die Möglichkeit gab, sich gemütlich einzurollen. Die Strecke führte an Feldern, Wiesen und Wäldchen vorbei durch malerische Dörfer wie Schüttorf und Salzbergen, wo sich traditioneller Charme und moderne Landwirtschaft vereinen. Ab Bramsche wurde die Landschaft hügeliger, was die Fahrt anspruchsvoller, aber auch abwechslungsreicher machte. Der Weg führte über die Hügel des Wiehengebirges Richtung Osnabrück und es gab immer wieder schöne Aussichtspunkte, die einen weiten Blick über das umliegende Land ermöglichten.
In Osnabrück angekommen, fuhr Jan durch die historische Altstadt mit ihren gut erhaltenen Fachwerkhäusern und der imposanten St. Marienkirche. Von dort aus ging es weiter in den Teutoburger Wald. Die Strecke wurde nun merklich anspruchsvoller, aber die Anstrengungen wurden durch die wunderschöne Natur mehr als wettgemacht.
Allerdings machte ihm das Wetter auf den letzten Kilometern einen Strich durch die Rechnung. Es war der Tag, an der das EM·Achtelfinale der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft wegen Unwetters unterbrochen werden musste. „Ich habe wegen des Unwetters in Riemsloh im Hotel übernachtet.“
Tag 11: „Ich bin müde. Ich glaube, ich fahre nach Hause.“
Distanz
: 254 km,
Höhenmeter:
1.441 m,
Zeit
: 10 h 13 min
Der 11. und letzte Tag der Niedersachsenumrundung von Jan begann mit einem herausfordernden Start in den frühen Morgenstunden. Der Himmel war immer noch bedeckt und es regnete unaufhörlich, was die ersten Stunden der Fahrt besonders anstrengend und unangenehm machte. Eigentlich hatte er vor, die Strecke von Riemsloh nach Hause in zwei Etappen zu absolvieren. Die Wetterbedingungen führten jedoch zu der Entscheidung, die Tour trotz der nochmals extrem herausfordernden Streckenlänge von über 250 Kilometern mit zahlreichen Höhenmetern an diesem Tag zu Ende zu bringen.
Jan folgte der Landesgrenze zunächst nördlich in Richtung Dümmer, anschließend wieder nach Süden an die Weser. Der Fluss begleitete ihn durch Minden und Bückeburg, zwei Städte, die reich an Geschichte und Kultur sind. In Minden beeindruckte die imposante Mindener Weserbrücke, während Bückeburg mit seinem prächtigen Schloss und dem weitläufigen Schlosspark einen kurzen, aber lohnenswerten Stopp bot.
Nach Bückeburg wurde die Strecke bergiger und anspruchsvoller. Der Weg führte Jan durch das Weserbergland über Bad Eilsen, Rinteln und Extertal erneut nach Bad Pyrmont, wo er am 1. Tag seine Niedersachsenumrundung aufgenommen hatte.
Nach der Weserüberquerung in Emmerthal erwartete Jan noch ein letzter steiler Anstieg über den Ith, bevor es auf die finalen 20 Kilometer nach Hause ging. Die Anstrengung war enorm, doch die Freude über den baldigen Abschluss der Tour ließ Jan die Strapazen überwinden.
Mit dem Wind im Rücken und dem Ziel vor Augen rollte Jan die letzten Kilometer nach Hause. Die Erleichterung und das Glücksgefühl überwogen jegliche Müdigkeit. Wie er es selbst ausdrückte: „Am Ende nur noch Glück und Brausestäbchen gespürt … was für ein Ritt, was für eine Erfahrung!“
Um 22.20 Uhr erreichte er nach 11 Tagen, 2.016 Kilometern, 10.523 Höhenmetern und 86 Std. Fahrzeit erschöpft aber dennoch überglücklich und voller Stolz auf das Erreichte sein Zuhause in Barfelde.
Jan Weber, Andreas Ossig