Einmal die „La Doyenne“ – Tristan Kittlaus beim Monument der Monumente

Das belgische Eintagesrennen Lüttich-Bastogne-Lüttich ist nicht nur das älteste sondern gilt auch als das schwerste der fünf Frühjahrs-Klassiker und fand am 21. April 2024 zum 110. Mal statt. RSG-Athlet Tristan Kittlaus stellte sich der Herausforderung und nahm bei der einen Tag vor dem offiziellen Rennen stattfindenden Jedermann-Challenge die mit 253 Kilometer längste der angebotenen Strecken mit respekteinflößenden 4245 Höhenmetern unter die Räder. Hier ist sein Bericht:

Im vergangenen Herbst/Winter, als die Tage bereits kürzer und trüber wurden, kam mir die Idee, den Klassiker Liège–Bastogne–Liège in Angriff zu nehmen. Bei meiner Recherche stieß ich auf die Lüttich-Bastogne-Lüttich Challenge, ein Jedermannrennen im RTF-Stil, das drei Streckenlängen bot: 79 km, 155 km und 253 km. Von meinem Übermut gepackt und den virtuellen Trainingsstunden überdrüssig, wählte ich die 253 Kilometer lange Strecke, was mir immer mehr Respekt einflößte, je näher der 20. April rückte. Mit der kurz danach gebuchten Unterkunft in den wallonischen Ardennen war unser verlängertes Wochenende schon fast perfekt geplant.

Am Donnerstag, den 18.04., machten wir uns mit Sack und Pack auf den Weg nach Belgien, genauer gesagt in die kleine Ortschaft Theux. Dort war für meine Familie und mich das Zuhause auf Zeit. Das Wetter versprach perfekte Klassikerbedingungen für das Rennen 😉, also packte ich mein gesamtes Portfolio an Radklamotten ein. Am Freitag stand die Vorbelastung auf dem Programm, während mich Dauerregen, Wind und einstellige Temperaturen begleiteten. Ich befuhr eine Stunde lang die engen Ardennenstraßen mit ihren bekannten, knackigen Anstiegen. Am Nachmittag erkundeten wir noch ein wenig die Sehenswürdigkeiten von Lüttich und erledigten einige Last-Minute-Einkäufe bei Decathlon (Handschuhe, Mütze). Auf dem Rückweg nach Theux holten wir noch die Startunterlagen in Banneux ab. Diese enthielten: Startnummer für Rennrad und Trikot, einen Aufkleber für das Oberrohr mit den Anstiegen und Verpflegungspunkten samt Kilometerangabe, Verhaltenshinweise und einen Riegel. Somit konnte ich mein Rad am Abend noch fit für den Start machen und die Rennradbekleidung für den morgigen Tag zurechtlegen.

Am Samstagmorgen klingelte der Wecker bereits um 4:30 Uhr und das Geräusch von Regentropfen drang durch das geöffnete Fenster. Ich begann den Tag mit einem grünen Tee und zwei Riegeln zum Frühstück, bevor ich mir meine bereitgelegten Radsachen anzog. Kurz vor sechs schwang ich mich bei Dunkelheit und Regen auf mein Rad und fuhr zum Start nach Banneux, um dort pünktlich um 6:30 Uhr mit den ersten Fahrern auf die 253 Kilometer lange Strecke zu gehen.

Die ersten 41 Kilometer verliefen relativ flach und ich konnte meine Kräfte in einer großen Gruppe schonen, während wir gemeinsam rollten. Die oft schlechten Straßenverhältnisse und engen Straßen waren mir bereits bekannt, aber nun erlebte ich sie hautnah. Dann kam mit der Mur de Durbuy der erste von elf kategorisierten Anstiegen, eine kurze Rampe von 900 m Länge, 70 Höhenmetern und 7,8 Prozent Steigung. Dies zog die Gruppe zwar auseinander, aber wir fanden wieder zueinander. Die erste Verpflegungsstation bei Kilometer 59 ließen wir links liegen und setzten unsere Fahrt fort, während der Regen unaufhörlich weiterfiel und die Temperaturen bei 3 Grad verharrten.

Nach drei weiteren Anstiegen und Abfahrten, die aufgrund der Nässe und Kälte besonders herausfordernd waren, erreichten wir bei Kilometer 102 die zweite Verpflegungsstation. Dort füllte ich meine großen Trinkflaschen mit 950 ml Wasser auf, denn weiteres benötigte ich nicht. Meine Verpflegungsstrategie sah vor, eine große Flasche mit Wasser und eine große Flasche mit leicht verdünntem RaceCarbX mitzuführen. Damit kam ich über die gesamte Strecke und sammelte wichtige Erfahrungen für den bevorstehenden Ötztaler Radmarathon.

Nach der Verpflegung war ich eine zeitlang alleine unterwegs und wartete darauf, dass sich andere Fahrer anschlossen, um Kraft zu sparen. Einige Kilometer später fanden sich vier weitere Fahrer, und wir wechselten uns im regnerischen Gegenwind ab. Mit der Zeit wuchs unsere Gruppe an, und ich konnte erneut meine Kräfte im Windschatten schonen. Das war auch von Nöten, weil ich zu der Zeit einen kleinen Hänger hatte. Ab Kilometer 179 ging es dann Schlag auf Schlag – es folgte Anstieg um Anstieg. Da wir nun auch mit den Teilnehmenden der anderen Strecken zusammenliefen, wurde es auf der Strecke zunehmend voller und unübersichtlicher. Unsere Gruppe zerstreute sich und ich wechselte von einer Gruppe zur nächsten. Bei Kilometer 188 füllte ich erneut meine Trinkflasche mit Wasser auf und setzte meine Fahrt fort.

Ab diesem Punkt wurden die Straßen enger und steiler, wie es typisch für Lüttich-Bastogne-Lüttich ist. Aufgrund der vielen Fahrerinnen und Fahrer wurden die engen Anstiege noch unrhythmischer als sie sowieso schon sind, da es teilweise zu Staus kam und man rausnehmen musste, bevor man passieren konnte. Doch alles verlief ohne jegliche Probleme oder Stress, da alle Rücksicht aufeinander nahmen. Eine weitere Herausforderung war, dass die Strecke nicht abgesperrt war, sodass wir natürlich auf den Verkehr achten und uns an die Verkehrsregeln halten mussten. Dies minderte jedoch nicht im Geringsten das Erlebnis und die Eindrücke. Mein persönliches Highlight war der Anstieg zum Côte de la Redoute rund 30 Kilometer vor dem Ziel. „La Redoute“ ist 1,6 Kilometer lang und weist eine durchschnittliche Steigung von 9,4 Prozent auf, wobei einige Abschnitte bis zu 20 Prozent steil sind. Zahlreiche Wohnmobile am Straßenrand und jubelnde Zuschauer gaben einem das Gefühl, ein Profi zu sein. Außdem konnte ich, durch die Atmosphäre motiviert, nochmals zulegen und einige Fahrer und Fahrerinnen der verschiedenen Streckenlängen einsammeln.

Nach etwas über neun Stunden im Sattel überquerte ich nach 264 vom Garmin aufgezeichneten Kilometern und 4245 Höhenmetern die Ziellinie in Banneux. Fueling- und Pacingstrategie haben hingehauen, was mich bei meiner ersten Radfahrt über 250 Kilometer sehr gefreut hat. Glücklich und ein wenig stolz ließ ich mir eine Finishermedaille umhängen und radelte zurück zur Unterkunft. Ein Radsporterlebnis, von dem ich noch lange zehren werde, fand damit seinen krönenden Abschluss in einer wohlverdienten warmen Badewanne, die meine unterkühlten Knochen wieder aufwärmte.

Ein besonderer Dank gebührt meiner Familie, die mich bei diesem Vorhaben nachdrücklich unterstützt hat. Insbesondere ohne meine verständnisvolle Frau Sina wäre mir dieses Erlebnis verwehrt geblieben. Es geht nicht nur um den Tag selbst, sondern auch um die unzähligen Trainingsstunden auf dem Rennrad, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, ein solches Vorhaben zu vollenden. Die Wallonischen Ardennen sind definitiv eine Reise wert, ob mit oder ohne Rennrad, es ist einfach wunderschön. Bei besserem Wetter wäre es wahrscheinlich noch schöner gewesen.

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